Sachsens Polizei wirbt nicht gezielt um Nachwuchs mit Migrationsgeschichte. Und daran soll sich auch nichts ändern. Dafür bekommt sie viel Kritik.
Gerade einmal 16 Bedienstete ohne deutschen Pass arbeiten bei der Polizei in Sachsen. 16 Bedienstete von mehr als 14.000. Wie viele Menschen mit Migrationsgeschichte in der sächsischen Polizei tätig sind, lässt sich hingegen nicht sagen, weil Sachsen dazu keine Daten erhebt. Da die sächsische Polizei aber nicht gezielt um Nachwuchs mit Migrationshintergrund wirbt, ist der Anteil vermutlich eher gering.
Die Polizei Sachsen ist eine von wenigen Landespolizeien in Deutschland, die sich nicht aktiv um Bewerber:innen mit Migrationsgeschichte bemühen. Ähnlich ist die Situation nur in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, wo die Landespolizeien lediglich um Nachwuchs aus dem Nachbarland Polen werben.
Alle anderen Landespolizeien sowie die Bundespolizei ergreifen inzwischen gezielte Maßnahmen, um Bewerber:innen mit Migrationsgeschichte für sich zu gewinnen. Das zeigen eine Recherche des Mediendienst Integration aus dem Jahr 2022 und eine Umfrage der taz.
*Wieso bemüht sich Sachsen nicht um migrantische Bewerber:innen? Und warum ist es überhaupt wichtig, dass mehr Menschen mit Migrationsgeschichte bei der Polizei arbeiten?
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Experte sieht „verstärkt autoritäre und konservative Dynamik“
„Die sächsische Polizei ist an Diversität nicht interessiert, weil ihr das Einheitliche und das Homogene wichtiger ist. Sie antwortet auf eine Modernisierungskrise mit Tradition“, sagt Rafael Behr am Telefon. Der 65 Jahre alte Professor für Polizeiwissenschaften lehrt an der Polizeiakademie Hamburg und forscht seit 2005 zu Diversität und Homogenität in der Polizei.
Nicht um migrantischen Nachwuchs zu werben, hält Behr für „erzkonservativ und gefährlich“. Denn um kompetent mit der diversen Gesellschaft umgehen zu können, brauche es „ein gewisses Maß an Diversität“ in der Polizei selbst. „Ich beobachte in der sächsischen Polizei eine verstärkt autoritäre und konservative Dynamik“, sagt Behr. „Sie will die Dinge so behalten, wie sie früher waren. Vielfalt ist überhaupt nicht gewünscht. Und Kritik auch nicht.“
Dass es vor allem ostdeutsche Landespolizeien sind, die sich wenig bis gar nicht um Nachwuchs mit Einwanderungsgeschichte bemühen, führt Behr auf die Systemunterschiede zwischen BRD und DDR zurück. „In der DDR haben die Menschen weniger Erfahrungen mit Migrant:innen gemacht. Deswegen sind die Vorbehalte oder Widerstände in den ostdeutschen Bundesländern gegenüber Fremdheit noch immer größer – auch innerhalb der Polizei.“ Die Landespolizeien im Westen hingegen hätten mehr Zeit gehabt, um sich miat Migration und gesellschaftlicher Diversität auseinanderzusetzen.
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Der Polizeiwissenschaftler empfiehlt den Landespolizeien, die sich aktuell nicht um Nachwuchs mit Migrationshintergrund bemühen, „das Wort Diversität ernstzunehmen“. Er rät, gezielt auf Menschen außerhalb der weißen Mittelschicht zuzugehen und sie so weit zu fördern, dass sie den Aufnahmetest schaffen. Nur zu sagen, dass keine Unterschiede zwischen Bewerber:innen mit und ohne Migrationsgeschichte gemacht würden und es einzig darauf ankomme, dass die Voraussetzungen erfüllt seien, sei „rückständig und naiv“. Denn unter diesen Umständen schafften es „nur ganz wenige Menschen mit Migrationsgeschichte“ in die Polizei.
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Nur weil nicht explizit diskriminiert wird, heißt das nicht dass nicht bestimmte Bevölkerungsgruppen trotzdem benachteiligt werden. Zum Beispiel weil Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. Außerdem, nicht gezielt unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen zu rekrutieren, bedeutet absichtlich einen Status Quo zu halten der immer weniger die eigentliche Bevölkerung repräsentiert. Das hat nichts mit Neutralität zu tun. Das ist die Hegemonie einer Bevölkerungsschicht die in jedem Versuch der Gleichberechtigung nur den Angriff auf die eigenen Privilegien sieht.