Text hinter Paywall:
»Europas Jugend glaubt nicht mehr daran, dass sie es besser als ihre Eltern haben wird.« Das steht über einer Pressemitteilung der TUI Stiftung zu ihrer groß angelegten Jugendstudie 2023, die sie heute vorstellt.
No shit, Sherlock!
Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, hätte man vermutlich nicht 7085 Menschen im Alter von 16 bis 26 Jahren befragen müssen. Ein Blick auf die Straße hätte womöglich gereicht. Vielleicht klebt da gerade einer dieser jungen Menschen, die sagen, dass alles schlimm ist und immer schlimmer wird.
Insofern überrascht es nicht, dass sich die Studie wie ein Abgesang auf die Zukunft liest. Die wichtigsten Stichworte: »Pessimismus auf dem Vormarsch«. »Der Trend zeigt nach unten«. »Ungleichheitsempfinden ist groß«. Und natürlich: »Vertrauensverlust«.
Die jungen Menschen glauben nicht mehr, dass es ihnen mal besser gehen wird als uns, die wir das Glück haben, älter als 26 zu sein. So klingt es im Diskurs tatsächlich: Als gäbe es keine Gnade der Jugend mehr. Als sei es nicht mehr das Allerbeste, sondern inzwischen das Allerschlimmste, Anfang 20 zu sein. Den jungen Menschen ist die Unbeschwertheit verloren gegangen, die diese Lebensphase eigentlich so wunderschön macht.
Problem erkannt und jetzt?
Das ist bitter und doch erklärbar. Schließlich sind wir, die Älteren, es selbst, die den Jüngeren ständig erklären, dass nicht mehr alles besser wird.
»Das deutsche Wohlstandsmodell zerbröselt«, stand unter anderem in der ersten SPIEGEL-Titelgeschichte dieses Jahres. Das kapitalistische Grundversprechen von stetigem Wachstum und den damit verbundenen Aufstiegsmöglichkeiten des und der Einzelnen: Pustekuchen!Deal with it, Gen Z! Die schöne heile und reiche Welt könnt ihr euch malen.
Dass der Kapitalismus ausgedient hat, die Demokratie erodiertund wir in unserer aktuellen Gesellschaftsordnung zu wenig für Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheittun, muss wohl stimmen. Warum sonst sollten wir es ständig schreiben?
Insofern ist klar, woher die düsteren Zukunftsgedanken junger Menschen kommen. Sie haben allen Grund und das Recht dazu, ihre Sorgen und Ängste zu äußern zumal dann, wenn sie explizit danach gefragt werden. Und trotzdem kann ich es nicht mehr hören.
Es tut mir leid, Jugend Europas, aber euer Pessimismus langweilt mich nicht nur, er kotzt mich an.
Ihr klingt wie eure Mutter
Es hilft nichts, einfach nur schlecht gelaunt zu sein und frustriert auf das zu blicken, was wir euch an Katastrophen hinterlassen werden. Es hilft auch nichts, sich auf Straßen festzukleben und bei Interviews, in Talkshows und in Statements auf euren Social-Media-Kanälen immer so wahnsinnig belämmert zu gucken, als lastete das gesamte Leid der Welt auf euren Schultern.
Seid bitte nicht immer so traurig und betroffen. Erklärt mir nicht zum tausendsten Mal, dass wir nur noch diese wirklich eine letzte Chance haben, die Apokalypse zu vermeiden.
Ihr wollt die Jugend sein? Ihr klingt wie eure Mutter, wenn sie euch als Kleinkind belehrte, nicht auf die Herdplatte zu fassen. Ihr seid jung. Warum müsst ihr dabei so altklug sein?
»No Future«
Eure Weltuntergangsszenarien sind weder neu, noch bringen sie uns voran. Wir wissen das alles. Vieles davon wussten wir vor euch.
Manche von euch sind fest davon überzeugt, dass es unverantwortlich sei, angesichts der Klimakatastrophe Kinder in die Welt zu setzen. Was glaubt ihr, wie viele eurer Eltern sich fest vorgenommen hatten, euch nie zu bekommen, weil sie so große Angst vor der nuklearen Bedrohung und dem dritten Weltkrieg hatten?
Es gab Jugendliche lange vor euch, die extrem pessimistisch waren und mit düsterem Blick in die Zukunft sahen. Doch das »No Future« war eine kreative Kampfansage der Jungen an die Alten, es bedeutete: Ihr, die Alten, habt keine Zukunft, weil wir, die Jungen, die Zukunft sind.
Ihr hingegen sagt: Wir haben alle keine Zukunft. Damit schadet ihr euch mehr als uns, weil es vor allem eure Zukunft ist. Also hört bitte auf mit eurem Fatalismus in eurem eigenen Interesse!
Ja, ich verstehe, dass die Klimakatastrophe real und eine Herausforderung bisher ungekannten Ausmaßes ist. Laut der TUI-Studie ist sie für die meisten von euch das wichtigste politische Problem. Da sind wir uns einig. Und ja, ihr könnt uns noch hundertmal vorwerfen, dass wir nichts oder zu wenig dagegen getan haben und noch immer tun. Aber dadurch ändert ihr doch nichts.
Wir werden einen Weg finden müssen, mit den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft umzugehen. Euer Pessimismus wird euch und uns allen dabei nicht helfen. Ich verstehe, woher er kommt. Aber er ist das Gegenteil von dem, was wir jetzt brauchen.
Wo sind eure Visionen?
Was wir benötigen, sind positive Erzählungen, Optimismus und Utopien. Und wer sollte utopisch sein, wenn nicht junge Menschen mit freien Geistern? Also: ihr.
Gerade, wenn wir uns darauf einigen, dass wir uns in einer Multikrise befinden und die Zeit so sehr drängt, sollten wir schleunigst an kreativen und konstruktiven Lösungsvorschläge arbeiten. Und die müssen vor allem von euch kommen.
Ich gebe zu, dass auch wir als Medien an dem Punkt mehr tun können und vermutlich sogar müssen. Die Menschen konsumieren bevorzugt schlechte Nachrichten, das sehen wir an unseren Zugriffszahlen.
Zeigt uns, dass es anders geht. Treibt uns vor euch her mit einem neuen Narrativ. Fangt an, Optimismus auszustrahlen, lebensbejahende Positivbotschaften zu verbreiten und genau das von uns einzufordern. Lest die guten Nachrichten, seid gute Nachrichten.
Ihr seid die Jugend, es ist euer Job, mit neuen Ideen gegen das alte System aufzubegehren. Euer Pessimismus ist ein natürlicher Feind neuer Ideen. Wann habt ihr zuletzt etwas Überraschendes, Verrücktes getan? Was sind eure klugen, frischen Gedanken?
Mit eurer negativen Weltsicht steht ihr euch selbst im Weg. Vielleicht ist das euer größtes Problem: Ihr seid zu realistisch. Hört auf damit!
Alte Menschen: “Seid mal ein bisschen utopischer!”
Junge Menschen: “Bedingungsloses Grundeinkommen, Reduzierung der Arbeitszeit, Autofreie Innenstädte.”
Alte Menschen: “Nein, doch nicht so!”
Du vermischt da gerade zwei unterschiedliche Gruppen. Ich glaube für Herrn Müller-Michaelis ist das Problem, dass “die Jugend” eben nicht mit allen Mitteln versucht solche Ideen durchzusetzen und viel zu wenig Widerstand gegen den Status-Quo leistet.
Er will halt, dass “die Jugend” eine Vision entwickelt und dann auch zur Wirklichkeit macht. Ich weiß nicht, ob er die dafür notwendige gewaltsame Revolution will, aber es klingt schon ein bisschen als wollte er, dass die Letzte Generaiton eben nicht jammert, sondern irgendwas im Sinne von “They can live in my new world or they can die in their old one.” bringt.
Aber an Straßen festkleben ist ihm auch nicht recht.
Es gibt Visionen, es gibt Aktivismus, und es gibt so viel Gegenwind dass man sich ab und zu fast nur hilflos fühlen muss. Wann in den letzten 20 Jahren hat denn mal eine Forderung der “Jugend” irgendwelche Effekte gehabt?
Die “Alten” haben nicht nur den Murks verbaut, in dem wir heute sitzen, sie haben allen nach ihnen kommenden Menschen auch ganz schön nachhaltig den Hebel aus der Hand genommen, daran wieder was zu ändern.
Dann zu fordern “macht doch mal was neues, was verrücktes!” ist schon fucking zynisch.
Uns Millenials wurde auch sehr oft vorgeworfen extrem angepasst zu sein. Es stimmt schon, dass der Autor hier selbst einer ist und sich also an die eigene Nase fassen sollte, aber falsch macht das seine Aussagen nicht: Gen-Z ist auch nicht viel besser*. Es ist natürlich schwer zu vergleichen und zum Teil wird mein Bild vermutlich auch von Erzählungen von älteren Menschen geprägt aber, ich behaupte schon, dass andere Jugendgenerationen in den 60ern bis 80ern mehr geschafft haben. Zum Einen wohl wegen der praktischeren Demographie, aber man muss ihnen auch lassen, dass sie weniger zimperlich waren als heutige Aktivisten. Schulstreik im Sinne von “wer will geht in der großen Pause” ist halt etwas anderes als “Wachposten am Eingang gegen Streikbrecher”.
Ist das so?
Durch das “und” bin ich echt nicht sicher, ob er wirklich ein Problem mit dem Festkleben an sich hat. Er mag halt das Auftreten der LG insgesamt nicht. Wie genau er das auschlüsseln würde weiß ich nicht. Vielleicht weiß er das selbst nicht.
*edit: besser im Sinne von radikaler, ob Radikalität hilft ist eine andere Frage. Da gab es auch sehr schlimme Beispiele. In gewisser Weise wurden die Nazis auch von einer Jugendbewegung an die Macht getragen.
Wir Millennials sind extrem angepasst. Man hat sie auch “Generation Y” genannt. Von “Generation Why”. Unsere Generation ist die letzte, die noch die komplette Ideologie vorheriger Generationen unhinterfragt aufgesogen hat. Nur dass dass das Versprechen auf ein besseres Leben auf Basis der Angepasstheit nicht mehr eingehalten konnte. Daher kommt die große Orientierungslosigkeit dieser Generation. Und das wussten die meisten Millennials schon als sehr junge Erwachsene. Die Folge war aber kein Aufbäumen oder auch nur eine Weigerung, sondern eine Verstärkung des Konformismus, um irgendwie die Dichotomie zwischen gesellschaftlichen Anforderungen und individuellen Mitteln bewältigen zu können, was der Soziologe Robert K. Merton als “Ritualismus” bezeichnet.
Wenn das stimmt - eigentlich ist es in Deutschland nur eine verlangsamte Verbesserung - dann waren wir nicht die ersten. Die Reallöhne stagnieren in Deutschland etwa seit Geburt der Millenials. Das müsste also auch Gen X beinflusst haben.
Ich würde behaupten, dass das Problem nicht ist, dass es jetzt weniger Menschen besser geht. Mit der auseinanderdriftenden Einkommensschere sollten sich die Aufstiegschancend eher verbessert haben. Das Problem ist die andere Seite. Man kann leichter absteigen und dabei tiefer fallen als vor ein paar Jahrzehnten.
Er erkennt an, dass der Kapitalismus die Demokratie erodiert, kritisiert aber die Letzte Generation, die einen gelosten Gesellschaftsrat fordert.
Ich kann schon irgendwie nachvollziehen was er sagen will, aber der Text ist inkonsequent. Der Typ ist gute 40 und in einer sehr privilegierten Position im tatsächlich was zu verändern.
Ohne die Medien könnte der Kapitalismus die Demokratie nicht so erodieren wie das der Fall ist. Vielleicht könnte man da mal was machen, anstatt hinter einer Paywall rum zu heulen, dass die Jugend keine Visionen hat.
Besser kann man es nicht sagen.
Ich glaube, es gabt seit 50 Jahren keine ähnlich politische Generation wie die jetztigen jungen Menschen gegeben. Was haben die heute 42 jährigen denn gemacht? Nichts. Totalausfall.
Von der 👇 Generation redest du?
Quelle
Die U40er sind doch alles in allem komplett gefickt - wenn bei Wahlen bald zu 50% Senioren an die Urne treten, wie soll da was für nachkommende Generationen bei rumkommen?
Politischen Aktivismus oder wenigstens politisches Interesse mit dem Interesse an Nachrichten zu operationalisieren ist ziemlicher Unsinn.
Jugendbewegungen wie FFF bringen Millionen auf die Straße. Das gab es seit 50 Jahren nicht mehr. Und während sich meine Generation, die Milennials, vor allem durch ihren Drang zum Konformismus ausgezeichnet haben und auszeichen, werden jetzt endlich mal wieder grundsätzliche Fragen gestellt. Zum Beispiel ob es Sinn macht, sein Leben der Regelarbeitszeit zu unterwerfen. Frag mal einen 20 jährigen nach der 40 Stunden Woche. Die lachen da. Zurecht.
Als nächstes schließt noch einer vom Drang nach Alkohol auf Alkoholsucht… sowas abwegiges aber auch.
Ich bin in ner Zeit von der Schule gegangen, als Zinsen explodiert und Banken pleite gegangen sind. Natürlich kann man bei aus der Zeit gefallenen Stellenangeboten laut lachen, wenn Unternehmen allerorts Werbekampagnen für ihre Ausbildungsplätze starten müssen. Wie sollst du das aber bitte in einer Zeit machen, in der die AGs aus Angst um Liquidität nicht mehr ausbilden, der öffentliche Dienst vor lauter Bewerber:innen komplett dicht ist und deine Mitschüler aus Verzweiflung zum Bund gehen, weil alle Lebensträume platzen wie Seifenblasen? Das Sein bestimmt seit jeher das Bewusstsein.
Ein viel besserer Indikator für politischen Aktivismus oder politisches Interesse ist doch die Auseinandersetzung oder der Einsatz für politische Ideen. Was hat das mit Nachrichten zu tun? Die Leute sollen lieber “How to Blow Up a Pipeline” lesen, als einen dpa Copy-Paste-Artikel, was beim Bund Länder Treffen besprochen wurde. Nachrichtenkonsum ist eine passive Angelegenheit. Die Kids (und inzwischen junge Erwachsene) gehen aber auf die Straße und wollen was verändern. Genau darauf wollte ich hinaus.
Ne wütende Minderheit der Bourgeoisie geht auf die Straßen und macht Lärm, während die riesige Mehrheit derart resigniert hat, dass sie sich den Protest nicht einmal mehr in der Tagesschau gibt. Das ist das Problem.
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Und jetzt schreit ihr rum, dass das ihr nicht in Rente dürft. Arbeitet doch noch weiter, wenn ihr so viel bock drauf habt.
Autofreie Innenstädte sind für mich schon ziemliche Utopie und absolut etwas, das ich gerne sehen würde. Aber ich muss mir wohl eher Utopien suchen, die dem Autor mehr passen. Ich bin offen für Vorschläge.