Gekürzter Auszug aus dem Artikel (wegen Paywall):
„Innovation“ – das Wort ist überall. Besonders in der derzeitigen Krise der deutschen Wirtschaft weisen Politiker ihm eine besondere Rolle zu. Christian Lindner hat im Abschiedsgruß nach seinem Rauswurf als Finanzminister neben liberalen Klassikern wie „Eigenverantwortung“ und „Leistungsbereitschaft“ auch mehr „Innovationsfreude“ angemahnt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, noch im Amt, ließ sich wenige Tage später im Regierungsflieger mit einem Dutzend Gründerinnen ablichten, dazu der Slogan: „#Startups sind Innovationsmotoren.“
[Jürgen Geuter, Informatiker im R&D bei Art+Com] sagt, das Schlagwort Innovation lenke von den eigentlichen Problemen ab, vor allem aber von sinnvollen Lösungen. „Es wird oft gesagt, Deutschland müsse innovativ sein. Aber niemand erklärt, warum das denn sein muss.“ Die Forderung laute einfach, man müsste irgendwie Innovationen machen. Wir müssten KI machen, weil alle KI machten. „Davor hieß es: ’Wir müssen alle Metaverse machen.’“ Es gehe nur noch darum, „durch irgendwelche Technologien zu rotieren, die dann nach zwei Jahren auch wieder egal sind, weil sie sich nicht bewiesen haben“.
Einem übergeordneten Ziel – zum Beispiel dem Kampf gegen den Klimawandel – diene das nicht. „Über die Zukunft reden ohne ein technisches Produkt, das man dann verkaufen kann, – das ist ein Muskel, den wir nicht mehr gut trainieren.“ Statt in einer Gemeinschaft von Erfindern und Programmierern an Lösungen für die Gesellschaft zu arbeiten, „geht man zu Microsoft, wirft Geld rein und bekommt irgendeine Lösung von denen“. Der Staat selbst versage unterdessen selbst bei den einfachen Schritten der Digitalisierung.
Immer stärker stützten Ökonomen sich auf die Idee von Innovation als „Faktor X“, der erklären sollte, wie weiter hohes Wirtschaftswachstum möglich sei, schreiben [die Historiker Lee] Vinsel und [Andrew] Russell: „Innovation ist zunehmend zum Allheilmittel geworden, zur Lösung aller Probleme, einschließlich stagnierender Produktivität, der schrumpfenden Mittelschicht, generationsübergreifender Armut, Drogensucht und zu vieler weißer Männer im arbeitsfähigen Alter, die nichts anderes tun, als Videospiele spielen.“ Innovation sei aber kein Wert an sich. Sonst sei auch die „innovative“ Droge Crack – Kokain mit Backpulver gestreckt – die viele Menschenleben kostete, eine tolle Sache gewesen.
Wichtig für die Gesellschaft seien eigentlich Erhalt und Betrieb bestehender Infrastruktur. Und nicht Innovationen, die nur einzelnen Unternehmen und ihren Gründern nützen. Die Helden der Wirtschaft seien all jene, die das bewährte System überhaupt am Laufen hielten. Die Brücken und Zäune reparieren, Müll abholen, uralte Computersysteme reparieren, statt die Infrastruktur mit immer neuen, halbgaren Innovationen zu beglücken.
Statt in einer Gemeinschaft von Erfindern und Programmierern an Lösungen für die Gesellschaft zu arbeiten, „geht man zu Microsoft, wirft Geld rein und bekommt irgendeine Lösung von denen“. Der Staat selbst versage unterdessen selbst bei den einfachen Schritten der Digitalisierung.
Das fühle ich so sehr. Anstatt im eigenen Land Kompetenzen aufzubauen läuft man irgendwelchen amerikanischen Monopolisten hinterher und heult dann später rum, dass Deutschland die Digitalisierung nicht gebacken bekommt.
Ja, wie auch, wenn alle nicht in IT, sondern in Microsoft trainiert sind.
Was uns fehlt ist aus meiner Sicht eine längerfristige strategische Planung. Die fehlt übrigens in vielen Unternehmen genauso.
Ich erlebe im täglichen Betrieb immer wieder, was der Artikel so treffend beschreibt: Tools > Konzepte > Ziele. Wobei es eigentlich umgekehrt sein sollte: Zuerst mal überlegen, wo man hin möchte. Dann das Konzept ausdenken, und dann erst kommt (vielleicht) irgendein Tool, mit dem das Konzept umgesetzt wird.
Tools > Konzepte > Ziele kann man als mittlerer Manager halt viel schneller als “Erfolg” verkaufen. “Wir haben XY eingeführt!” Das man zwar nur 10% von XY nutzt ist dann zweitrangig. Nicht zuletzt, weil die eigentlich arbeit dann genau in den Konzepten steckt, und darin diese einzuführen und seine Arbeitsweise zu ändern.
Ein weiterer Vorteil aus “Manager-Sicht” ist, dass man so reaktiv vorgehen kann. “XY kann das und dass, also machen wir das und dass” anstatt sich vorher abstrakt Gedanken zu machen, was man eigentlich braucht und haben will. Wobei man gerade bei Digitalisierungsvorhaben auch berücksichtigen muss, dass es schwer ist, sich das Abstrakt vorzustellen, wenn man nicht weiß, was es gerade für Lösungen gibt. Dann wird dann oft über das Ziel hinaus geschossen, oder effiziente Lösungen werden ignoriert, weil man noch im Stand der Technik von vor 10 Jahren denkt.
Den Artikel hat Geuter aka tante schon als Talk auf der Republika gehalten. Sehr sehenswert!
Leute benutzen Innovation wie Kreativität, dabei meint es eigentlich Ideenumsetzung und -verbreitung. Also grob gesagt, bei Wissenschaft oder Erfinder: innen Ideen einkaufen und benutzen.
Ja, Leute sagen Innovation und meinen Invention. Das ist mit vielen Begriffen so. Manchmal wundere ich mich, dass Kommunikation überhaupt funktioniert.
Invention ist Geld zu Wissen machen (F&E)
Innovation ist Wissen zu Geld machen (Marktfähig)
LLM Mensch.
Überhaupt frage ich mich sehr oft, wo die Gesellschaft langfristig überhaupt hin will. Gefühlt hat gar niemand einen Plan dazu; es ist alles nur so “schau ma mal” und wir setzen einen Fuß vor den anderen und hoffen, dass daraus ein Weg wird.
Warum Innovation? Das hat Schumpeter vor über hundert Jahren doch schon durch gekaut. Es passiert, wenn Deutschland nicht innovativ genug ist, kann man derzeit gut an VW beobachten.
Das Problem von VW ist ja größtenteils nicht einmal, dass es nicht selbst innovativ ist, sondern dass bereits bewährte Technologien ignoriert werden. Man muss kein Daniel Düsentrieb sein, um im Jahr 2024 ein gutes Elektroauto zu bauen.
Die Innovation die VW nicht hinkriegt ist E-Autos günstig genug zu bauen.
Ist das “zu wenig Innovation” oder “wir haben keinen Bock auf kleine Autos mit geringen Margen”? Es werden ja eh schon viele deutsche Autos ganz oder teilweise im EU-Ausland gebaut. Der VW Up war recht beliebt, wird trotzdem eingestellt.
Nicht nur E-Autos. VW hat sich in den frühen 2000ern neu orientiert und seine Preispolitik und Modellpalette auf den Exportmarkt im gehobenen Preissegment fokusiert. Einfache, preiswerte Autos, die man sich auch mit wenig Geld leisten kann, waren da nicht erwünscht (Marge zu gering). Die Qualität hat man auch zunehmend zurückgefahren, auf dem Exportmarkt kann man ja stattdessen die “Marke” “Made in Germany” verkaufen. Das geht halt aber auch nur so lange, bis die Leute, die die Produkte kaufen sollen, das merken.
Hat das irgendwie damit zu tun, dass in Deutschland die Lohnstückkosten höher sind, weil hier Menschenrechte und Arbeitsrecht eine Rolle spielen?
Soweit ich weiß, sind deutsche Autohersteller auch in China zu teuer, obwohl sie vor Ort bauen. Hat wohl eher damit zu tun, wie die Autos konzipiert sind - z.B. Größe, Batterietechnologie (in China sind z.B. Wechselakkus beliebt), Komfortfunktionen.
In Deutschland selbst ist das Problem meinem Eindruck nach vor allem, dass auf hohe Margen mit extra-großen Autos und riesigen Akkus gesetzt wird. Es wird ja eh schon viel im europäischen Ausland gebaut, aber die deutschen Hersteller haben scheinbar grundsätzlich keinen Bock auf kleine Autos.
Die Ironie ist, das gerade beim Müll innovation durchaus möglich und praktisch ist. Hier in NL haben wir in den Städten überall unterirdische Müllcontainer, in die man den Hausmüll direkt entsorgen kann, der dann einfach regelmäßig vom LKW abgeholt wird. Ein Haufen Haushalte lässt sich so auf einen Schlag versorgen und man muss sich nicht mehr so sehr mit Mülltonnen die überall im Weg stehen rumschlagen.
Praktisch, Innovativ und für alle Beteiligten eine Verbesserung.
Vermutlich weil es ohne AI, Blockchain, oder irgendeinen anderen derartigen Unfug auskommt.
Da könnte man doch bestimmt irgendeinen Sensor einbauen, der den Füllstand misst, und das dann als KI verkaufen.